11.10.2024 15:58

E-Voting als Lösung?

Weil letztens vom Gemeindebund das Thema Wahlen über das Internet aufgebracht wurde, will ich meine Gedanken dazu niederschreiben. Das ist jetzt kein vollumfängliche Behandlung des Themas, ich habe mich auch nicht in die Judikatur des VfGH eingelesen. 

Problemdefinition

Was müssen Wahlen erreichen? Nach welchem Maßstab müssen wir messen, ob sie ihr Ziel erreicht haben?

Meiner Meinung nach gibt es hier zwei große Ziele, wobei das zweite gerne übersehen wird:

  1. Ermittlung des Wahlsiegers
  2. Die Verliererpartei dazu zu bringen, dass sie das Ergebnis anerkennt. Wir wollen keine österreichische Version des 6. Jänner 2021 erleben.

Für den zweiten Punkt ist es daher nicht nur nötig, dass die Wahl mathematisch beweisbar korrekt abgelaufen ist, sondern dass der Vorgang für jeden Bürger verständlich und nachvollziehbar ist. Jeder Beisitzer kann die Stimmzettel mitzählen und das Aufsummieren der Ergebnisse vom Sprengel bis rauf zum Staat braucht nicht mehr als Volksschulmathematik. Wie das Wahlgeheimnis gewährleistet wird, ist auch einfach und anschaulich erklärbar.

Ja, in der Theorie kann e-Voting auch geheimes Wählen umsetzen, aber die Erklärbarkeit und Transparenz für Jedermann ist einfach nicht auf dem gleichen Level.

Aufwand durch die Briefwahl

Es wird schon wahr sein, dass der Prozess für die Gemeinden aufwändig ist, aber was genau ist die Lösung? Dazu muss erstmal klar sein, was eigentlich das Problem ist:

  • Das Ausstellen und Versenden der Briefwahl-Unterlagen?
  • Das Berücksichtigen dieser Möglichkeit in den Wählerlisten, damit nicht doppelt gewählt werden kann?
  • Die Verarbeitung der eingelangten Briefstimmen in den Gemeinden?
  • Die Zuordnung der Stimmen zu den Heimatgemeinden?

Ich kenne die aktuellen Details nicht, aber eine Sache könnte das ganze etwas entspannen: warum müssen die Briefwahlstimmen getrennt und nach den normalen Wahlzetteln ausgezählt werden? Warum werden diese nicht in Ruhe vor oder während der Wahl aus dem äußeren Kuvert genommen und in die normale Urne dazu gegeben? Ja, dazu müssten die Briefwahlbriefe auf Sprengelebene behandelt werden, und die Deadline für deren Eintreffen müsste vorverlegt werden. Dafür könnte man sich das Tracken der ausgegebenen Briefwahl-Stimmzettel fast sparen, denn das Eintreffen eines Briefes läuft dann 1:1 wie das Wählen vor Ort. Das Gegenargument ist, dass dann die Übermittlung der Briefstimmen in die Sprengel überwacht werden muss. Ob ein Wähler in Person in das Wahllokal kommt, oder ob seine Briefstimme im Wahllokal verifiziert und eingeworfen wird, sollte vom Aufwand her sehr ähnlich sein. Damit skaliert das bis zu einem beliebig hohen Briefwahlanteil - und erhält das Wahlgeheimnis auch bei nur einer einzigen Briefwahlstimme.

Ein Wählen am Wahltag in einem anderen Wahllokal ist damit natürlich nicht mehr möglich.

Anders formuliert: wir haben den Wahlkarten- bzw. Briefwahlprozess unter der Annahme entworfen, dass er die Ausnahme ist. Das stimmt nicht mehr, daher gibt es vielleicht eine andere Herangehensweise, die auch bei über 40% Briefwahlstimmen noch gut funktioniert?

Was machen wir bei Unwettern?

Bei der NRW 2024 hatten wir Glück: ein Wahltermin zwei Wochen früher, und die Wahlen wären in manchen Bezirken schlicht nicht durchführbar gewesen. Das mag in 5 Jahren anders sein, oder eine andere Wahl treffen.

Wir brauchen dazu einen vorab vereinbarten Prozess. Das ist ein nicht triviales Problem, denn eine Wahl kann ich nicht so einfach verschieben wie ein Fußballspiel. Da besteht das Potenzial für Missbrauch.

Da ist erstmal die Entscheidung, dass die Wahl am geplanten Tag nicht regulär durchführbar ist. Wer darf das, mit welchen Safeguards, entscheiden?

Und was dann? Eine spontane Verlegung eines Wahllokals (die Schule steht unter Wasser, wir weichen ins Wirtshaus aus) lässt sich noch machen, aber was, wenn der halbe Ort am Sandsäcke Schaufeln ist, und der Rest panisch Wertsachen in die oberen Stockwerke bringt? Kann verschoben werden? Auf welcher Ebene?

Ein spontanes Ausweichen auf E-Voting hilft hier nicht. Wenn die Bevölkerung gerade am Retten von Leben und Besitz ist, dann wird Wählen sicher keine Priorität haben. Funktioniert es überhaupt noch technisch? Gibt es Connectivity? Kabel/DSL oder Mobil? Und falls ja, dann sind Fähigkeiten, das auch wirklich zu machen, in manchen Bevölkerungsschichten konzentriert. Damit verschiebt sich aber zwangsläufig das Wahlergebnis in Richtung der Parteien, die tendenziell eher die jüngeren und technikaffineren Wähler ansprechen.

Zusammenfassung

Es macht durchaus Sinn, darüber nachzudenken, wie wir Wahlen mit einem hohen Anteil an Briefstimmen effizient abwickeln können, und wie wir gut auf spontane Notfälle reagieren können. E-Voting ist hier aber sicher nicht die Lösung.

Verfasst von: Otmar Lendl